Wing Chun
Wing Chun ist wahrscheinlich das bekannteste Kung Fu System und das am meisten praktizierte. Aufgrund von Bruce Lee’s Bekanntheitsgrad, wurde auch das Wing Chun bekannt, da auch Bruce Lee in seinen jungen Tagen Wing Chun lernte. Es ist die Basis für seinen Stil Jeet Kune Do.
Wing Chun ist einer der wenigen Stile, welcher von einer Frau kreiert wurde. Dieses System interessiert sich nicht für Nettigkeiten, noch fair play oder guten Geschmack, das einzige was zählt, ist die Attacke abzuwehren und in der gleichen Sekunde zurückzuschlagen. Schöne und schwierige Techniken und massenweise Waffen sind nicht wichtig. Auch wenn dieses System schon vor 400 Jahren entwickelt wurde, braucht es dennoch keine Modernisierung im 21. Jahrhundert. Das System ist schnell, effektiv und zeigt sofort Wirkung.
Die Gründerin des Wing Chun war Ng Mui, eine buddhistische Nonne aus dem Shaolin Kloster. Sie war eine der wenigen Überlebenden des Massakers an den Shaolin Mönchen, durch die Truppen der Chin. Ng Mui flüchtete zu einem Tempel in Tai Leung Shan, wo sie weiterhin ihrem Training Mui Fa Chuan nachging. Während ihren Aufenthalten im angrenzenden Dorf schloss sie Freundschaft mit Yim Wing Chun, der Tochter eines Verkäufers. Eines Tages fand sie Yim Wing Chun in Tränen, weil der lokale Gangster sie als Konkubine auserwählt hatte. Mitleid empfindend sagte Ng Mui zu Yim Wing Chun, sie solle dem Gangster sagen, er solle 6 Monate warten dann würde sie willig zu ihm kommen. Der Schurke war einverstanden. Während dieser Zeit lehrte die Nonne Yim Wing Chun ihren Kampfstil und ein paar Extras. Da aber Yim Wing Chun ein eher zierliches Mädchen war, musste Ng Mui die Techniken den körperlichen Möglichkeiten anpassen. So entwickelten sie ein neues System, welches weder kompliziert noch zu anstrengend war, aber trotzdem die maximale Effizienz beibehielt. (Darum ist Wing Chun auch optimal als Selbstverteidigung für Frauen. Man braucht wenig Kraft und keine speziellen körperlichen Voraussetzungen.) Sechs Monate später kam der Gangster, um Yim Wing Chun zu holen. Yim sagte ihm, dass er sich beweisen müsse und sie im Kampfe besiegen müsse, um sie zu bekommen. Lachend, an einen einfachen Sieg glaubend, war der Schurke einverstanden. Ein paar Minuten später lag der Gangster im Staub mit gebrochener Nase, einem gebrochenen Arm und gebrochenen Rippen. Er wurde nie wieder gesehen. Die Jahre vergingen und Yim Wing Chun heiratete, aber sie trainierte weiterhin und entwickelte dieses System immer weiter, schliesslich widmete sie es der Nonne Ng Mui, gab dem System aber ihren eigenen Namen Wing Chun (schöne Frühlingszeit).
Später kamen dann zwei Waffen dazu: die Schmetterlingsmesser und der Langstock. Ein wichtiges Hilfsmittel, das im Wing Chun Training verwendet wird, ist die Holzpuppe. Sie ist ein ausgezeichnetes Mittel, um Arme und Beine in wirksamster Weise zu koordinieren und steigert die Geschwindigkeit des eigenen Angriffes. Das Aussehen der Puppe wurde präzise vermessen und so abgestimmt, dass die Puppe falsche Bewegungen ständig korrigiert. Das Ergebnis ist eine schnelle Zusammenarbeit von Armen und Beinen, die dem Gegner keine Chance lässt.
Chi Sao
Diese Partnerübung soll schnelle Reflexe hervorbringen, die dann die ausgeklügelten Kampftechniken wie von selbst entstehen lassen. Die Reflexhandlung ist eine unbewusste Reaktion auf einen unerwarteten Reiz. Wenn z.B. jemand unerwartet mit einer Nadel gestochen wird, wird er sicher aufschreien und eine schnelle Bewegung machen, um der Quelle des Schmerzes zu entgehen. Im Falle eines plötzlichen Angriffes, etwa eines Fauststosses, würde er wahrscheinlich erschrocken zurückweichen.
Diese Beispiele (schreien, zurückweichen) sind typisch für unbewusste Reflexhandlungen. Sie wurden nicht vorher geplant und sind nicht das Ergebnis bewussten Nachdenkens.
Der Zweck des Chi Sao Trainings ist es, beim Übenden eine schnelle Reaktion hervorzubringen, eine Reaktion, die viel schneller ist als die eines Durchschnittsmenschen. Es geht dabei um eine gezielte Reaktion, die geeignet ist, eine Kampfsituation für uns zu entscheiden. Und zwar, ohne dass wir vorbereitet sein müssen. Viele Leute werden in einer körperlichen Auseinandersetzung die Erfahrung gemacht haben, dass sie keine Zeit hatten, über ihre Abwehr- oder Angriffsaktionen nachzudenken. Denn dazu gibt uns der Gegner keine Gelegenheit. Deshalb gibt es auch leider so viele Kampfsportler, die schon seit acht oder zehn Jahren Abwehr- und Gegenangriffsmethoden üben, aber diese Bewegungen in einem richtigen Kampf nicht so anwenden können, wie sie gerne möchten. Der Grund dafür ist: Sie haben nie gelernt ohne nachdenken zu müssen, reflexartig das Richtige zu tun. Die beste Trainingsmethode dafür ist Chi Sao!
Ausschalten des Bewusstseins
Das Chi Sao Training ermöglicht es einem Wing Chun Kämpfer, sein Nervensystem so zu konditionieren, dass es automatisch die richtige Reaktion auslöst, die uns vor einem überraschenden Angriff schützt. In einem wirklichen Kampf greift uns der Gegner so schnell an, dass wir keine Zeit haben, um die Information, die die Augen empfangen haben, an das Gehirn weiterzuleiten und darauf zu warten, dass das Gehirn uns die notwendigen Instruktionen gibt. Durch Chi Sao lernt unser Körper selbstständig zu handeln und stets intuitiv das in der Situation Richtige zu tun.
Übungen für den Berührungssinn
Von höchster Bedeutung für das Chi Sao sind die Übungen zur Entwicklung eines ausgeprägten Berührungssinnes. Damit meinen wir aber keine Art Tastsinn, mit dem wir etwa Gegenstände erfühlen wollten. Tatsächlich geht es darum, dass unsere Hände, Arme und Beine die Stärke und die Richtung eines gegnerischen Angriffs erkennen sollen.
Sobald unsere Arme einmal Kontakt mit denen des Gegners haben, fühlen diese, ob ein Schlag leicht oder schwer ist, ob er von oben oder unten kommt, ob der Gegner den Arm vorstösst oder zurückzieht. Auf diese Weise können unsere Arme die richtigen Massnahmen selbst ergreifen, um den Gegner abzuwehren, seine Deckungslücken auszunutzen, ihn unter Kontrolle zu bringen und ihn schliesslich ausser Gefecht zu setzten.
Das Endziel im Chi Sao ist es, den Gefühlssinn mit den gelernten Kampftechniken zu verbinden, so dass diese zu Reflexen werden, die automatisch ohne zeitraubendes Nachdenken zum sofortigen Erfolg führen.